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Fristen und Sonderkündigungsschutz für Schwangere

BAG klärt Fristen und Sonderkündigungsschutz für Schwangere – Was Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen wissen müssen

1. Hintergrund der Entscheidung

Der Sonderkündigungsschutz für Schwangere ist ein zentrales Schutzinstrument des deutschen Arbeitsrechts. Dennoch wirft seine praktische Anwendung immer wieder schwierige Rechtsfragen auf. Besonders relevant ist die Frage, welche Fristen gelten, wenn eine Arbeitnehmerin erst nach Ausspruch der Kündigung von ihrer Schwangerschaft erfährt und dies dem Arbeitgeber mitteilt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Konstellation in seinem aktuellen Urteil vom 3. April 2025 (2 AZR 156/24) grundlegend geklärt und wichtige Leitplanken für die Praxis gesetzt.

2. Der Fall im Überblick

Im konkreten Fall war die Klägerin seit 2012 bei der Beklagten beschäftigt. Am 13. Mai 2022 erhielt sie eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2022. Erst am 29. Mai 2022, also gut zwei Wochen nach Zugang der Kündigung, machte sie einen Schwangerschaftstest, der positiv ausfiel. Noch am selben Tag informierte sie ihre Arbeitgeberin per E-Mail, konnte jedoch einen Termin beim Frauenarzt erst für den 17. Juni 2022 bekommen. Die ärztliche Bestätigung der Schwangerschaft reichte sie beim Arbeitsgericht nach. Parallel beantragte sie die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage, da die Klagefrist bereits abgelaufen war.

Die Arbeitgeberin argumentierte, die Klage hätte noch fristgerecht erhoben werden können, da die Klägerin ja bereits am 29. Mai einen positiven Test hatte. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben jedoch der Arbeitnehmerin Recht. Das BAG bestätigte nun die Urteile der Vorinstanzen.

3. Die Kernaussagen des Urteils

a) Kein Sonderkündigungsschutz ohne Kenntnis beim Arbeitgeber

Das BAG stellte klar: Der Sonderkündigungsschutz nach § 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) greift nur, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung von der Schwangerschaft weiß oder wenn die Arbeitnehmerin ihn binnen zwei Wochen nach Zugang der Kündigung informiert. Ist beides nicht der Fall – weil weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmerin von der Schwangerschaft wissen –, läuft die reguläre Klagefrist nach § 4 KSchG.

b) Nachträgliche Klagezulassung bei „schuldloser Unkenntnis“

Erlangt die Arbeitnehmerin erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist sichere Kenntnis von einer bei Zugang der Kündigung bereits bestehenden Schwangerschaft – etwa erst nach ärztlicher Bestätigung –, kann sie die Kündigungsschutzklage auf Antrag nachträglich gemäß § 5 KSchG zulassen lassen. Voraussetzung: Sie hat die Fristversäumnis nicht zu vertreten und stellt den Antrag innerhalb von zwei Wochen, nachdem sie Gewissheit über die Schwangerschaft erlangt hat.

c) Keine Obliegenheitsverletzung bei später Kenntnis

Das BAG betont: Arbeitnehmerinnen sind nicht gehalten, aufgrund bloßer Vermutungen oder unsicherer Anzeichen sofort eine ärztliche Abklärung herbeizuführen. Erst mit einem positiven Testergebnis kann die Pflicht entstehen, sich um einen Arzttermin zu bemühen. Kann ein früher Termin nicht realisiert werden, ist dies nicht der Arbeitnehmerin anzulasten. Eine vorsorgliche Klage und Antrag auf nachträgliche Zulassung ist zulässig – auch bevor eine ärztliche Bestätigung vorliegt.

4. Praktische Bedeutung für Arbeitnehmerinnen

Schwangerschaft entdeckt nach Kündigung?
Frauen, die erst nach Erhalt einer Kündigung von ihrer (bereits zum Kündigungszeitpunkt bestehenden) Schwangerschaft erfahren, müssen nicht befürchten, schutzlos gestellt zu sein. Das BAG bestätigt, dass eine nachträgliche Klagezulassung möglich ist – sofern die Fristen und Formalitäten beachtet werden:

  • Zügig handeln: Nach positiver Kenntnis – meist mit ärztlichem Nachweis – muss binnen zwei Wochen der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gestellt werden.
  • Dokumentation: Kommunikation mit dem Arbeitgeber, Nachweise und Arzttermine sollten sorgfältig dokumentiert werden.
  • Rechtzeitig Beratung suchen: Je schneller rechtlicher Rat eingeholt wird, desto größer die Chance, die Rechte effektiv durchzusetzen.

5. Hinweise für Arbeitgeber

Was tun bei Mitteilung einer Schwangerschaft nach Kündigung?
Arbeitgeber sollten bei Mitteilung einer Schwangerschaft nach Zugang der Kündigung sorgfältig prüfen, ob und wann die Arbeitnehmerin von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt hat. Die Einhaltung der Fristen (zwei Wochen Mitteilung an den Arbeitgeber, zwei Wochen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung) kann im Zweifel auch zu Gunsten der Arbeitnehmerin ausgelegt werden.

Fehler bei der Fristenberechnung oder eine vorschnelle Ablehnung von Ansprüchen können teuer werden. Die Entscheidung des BAG schärft die Sorgfaltspflichten und unterstreicht die Komplexität des Mutterschutzrechts.

6. Einordnung im Lichte des europäischen Rechts

Das BAG bezieht sich ausdrücklich auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), insbesondere zur Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG. Das deutsche System der Fristen und nachträglichen Klagezulassung genügt nach Ansicht des BAG den Anforderungen des Unionsrechts, sofern die genannten Voraussetzungen eingehalten werden. Eine zu enge Auslegung zu Lasten der Arbeitnehmerin wäre nicht europarechtskonform.

7. Handlungsempfehlungen aus dem Urteil

  • Arbeitnehmerinnen: Bei unerwarteter Kündigung während einer unbemerkten Schwangerschaft sollte sofort – spätestens nach ärztlicher Bestätigung – rechtliche Beratung eingeholt und alle Fristen überwacht werden.
  • Arbeitgeber: Im Zweifel sollten im Falle einer nachträglich mitgeteilten Schwangerschaft keine voreiligen Maßnahmen getroffen werden. Im Zweifel entscheidet das Arbeitsgericht – oft zu Gunsten des Schutzes für Schwangere.

Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit und verdeutlicht: Das deutsche Arbeitsrecht bietet schwangeren Arbeitnehmerinnen einen robusten, aber auch klar reglementierten Kündigungsschutz. Die Fristenregelungen sind fair und berücksichtigen die oft schwierige Lage betroffener Frauen – und geben zugleich auch Arbeitgebern verlässliche Vorgaben.

Sie haben Fragen zum Mutterschutz, Kündigungsschutzklagen oder zur Gestaltung von Arbeitsverträgen? Vereinbaren Sie gerne einen Beratungstermin – wir vertreten Ihre Interessen engagiert und kompetent.

Bild von Rechtsanwalt Cihan Kati im Anzug
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