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Rechtsmissbrauch bei Entschädigungsansprüchen nach dem AGG – Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Am 19. September 2024 entschied das Bundesarbeitsgericht (Az.: 8 AZR 21/24) über die Grenzen von Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG und setzte dabei wichtige Leitlinien zur Verhinderung von Rechtsmissbrauch. Dieser Fall ist besonders relevant, da er zeigt, wie Gerichte die Schutzmechanismen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gegenüber missbräuchlicher Anwendung wahren.

Der Sachverhalt: Bewerbungen ohne echtes Interesse an der Stelle

Der Kläger, ein arbeitsloser Wirtschaftsjurist im Fernstudium, hatte sich wiederholt auf Stellenanzeigen beworben, die er als diskriminierend ansah. Hierbei ging es häufig um Stellenbezeichnungen wie „Sekretärin“. Obwohl der Kläger über die notwendigen Qualifikationen verfügte, provozierte er durch seine Bewerbungen gezielt Absagen. Diese nutzte er, um Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen.

Im vorliegenden Fall bewarb sich der Kläger auf eine Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“, obwohl sein Wohnort über 170 Kilometer entfernt lag und keine konkreten Umzugspläne bestanden. Die Bewerbung wurde mit einer Frau besetzt, woraufhin der Kläger eine Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro verlangte.

Rechtliche Würdigung: Wann liegt Rechtsmissbrauch vor?

Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage mit der Begründung zurück, dass ein durchgreifender Rechtsmissbrauch vorliegt (§ 242 BGB). Hierbei stellte das Gericht zwei wesentliche Elemente fest:

  1. Objektives Element:Der Kläger hatte keine ernsthafte Absicht, die Stelle anzutreten. Dies zeigte sich u. a. durch:
    • Die räumliche Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsstelle ohne konkrete Umzugspläne.
    • Die standardisierten Bewerbungen mit unzureichendem Bezug zu den Anforderungen der Stellenanzeige.
    • Ein systematisches Vorgehen bei ähnlichen Bewerbungen und Entschädigungsprozessen.
  2. Subjektives Element:Der Kläger wollte sich gezielt durch die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen finanziell bereichern. Seine Handlungen dienten nicht dem Ziel eines diskriminierungsfreien Zugangs zum Arbeitsmarkt, sondern allein der Generierung von Einnahmen.

Rechtsmissbrauch und das AGG

Das AGG zielt darauf ab, Diskriminierung zu verhindern und Chancengleichheit zu fördern. Allerdings betonte das Bundesarbeitsgericht, dass dieses Ziel nicht durch missbräuchliches Verhalten unterlaufen werden darf. Entsprechend müssen Bewerber ein ernsthaftes Interesse an der Stelle nachweisen, um Ansprüche geltend machen zu können.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist Rechtsmissbrauch anzunehmen, wenn:

  • Die formalen Bedingungen der Unionsregelung eingehalten werden, das Ziel der Regelung jedoch nicht erreicht wird.
  • Aus objektiven Umständen hervorgeht, dass der Betroffene nur einen ungerechtfertigten Vorteil erlangen wollte.

Das Bundesarbeitsgericht führte aus, dass Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet sind, wenn sie sich auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs berufen. Im vorliegenden Fall konnte die Beklagte jedoch ausreichend nachweisen, dass die Bewerbung des Klägers ausschließlich der Grundlage von Entschädigungsklagen diente.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt, dass Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG sorgfältig geprüft werden müssen, um den Schutz vor Diskriminierung nicht in Misskredit zu bringen. Arbeitgeber sollten darauf achten, Stellenausschreibungen geschlechtsneutral zu formulieren, um potenziellen Angriffspunkten vorzubeugen.

Für Arbeitnehmer und Bewerber ist wichtig: Wer Entschädigungsansprüche geltend macht, sollte nachweisen können, dass er tatsächlich an der ausgeschriebenen Stelle interessiert war. Andernfalls droht der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs, was nicht nur finanzielle, sondern auch rechtliche Konsequenzen haben kann.

Das Urteil setzt einen klaren Rahmen, wie das AGG anzuwenden ist und verhindert, dass das Gesetz für rein finanzielle Zwecke missbraucht wird. Es bleibt ein wirksames Instrument zur Bekämpfung von Diskriminierung – vorausgesetzt, es wird mit der gebotenen Ernsthaftigkeit genutzt.

Bild von Rechtsanwalt Cihan Kati im Anzug
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